Spannender Artikel auf vorwärts.de zu Auswirkungen der Krise auf Frauen.
Chancengleichheit in Gefahr
Angela Merkels Politik schadet den Frauen in ganz Europa, denn ihr EU-Krisenmanagement geht besonders zu ihren Lasten.
Erst vor einigen Tagen feierte die SPD das 25-jährige Jubiläum ihrer parteiinternen Geschlechterquote von 40%: Ein positives Beispiel dafür, wie die Sozialdemokratie in der Vergangenheit und auch heute noch eine Vorreiterrolle einnimmt, wenn es um die Durchsetzung der Rechte von Frauen und um die Gleichstellung der Geschlechter geht. Wie der frühere spanische Premierminister José Luis Zapatero einmal treffend sagte: Als Sozialdemokrat bist du seit jeher in Teilen auch Feminist/in und stehst ein für Gleichberechtigung und Frauenrechte.
Anders Angela Merkel. Selbst zwar eine Frau, doch leider mit wenig bis null Unterstützung für frauenpolitische Anliegen. Gleichstellungspolitisch hat Spanien unter Zapatero Deutschland weit überholt.
Frau Merkel war noch nie eine Befürworterin der Quote. So hat sie auch auf europäischer Ebene im Rat alles dafür getan, eine EU-weite Frauenquote in Aufsichtsräten bislang erfolgreich zu verhindern. Mit ihrem Konservatismus hat sie die Situation benachteiligter Frauen weder in Deutschland noch in Europa verbessert.
Im Gegenteil: Eine aktuelle Studie der Europäischen Frauen Lobby („The Price of Austerity – the impact on women’s rights and gender equality in Europe“) ebenso wie der letzte Gender-Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zeigen, dass die europäische und vor allem die von Merkel forcierte Sparpolitik in der Eurokrise die Lebenssituation vieler Frauen in den Krisenländern verschlechtert hat.
Wodurch schadet Merkels Politik den Frauen in Europa?
Die direkten Auswirkungen der so genannten Maßnahmen zur “fiskalischen Konsolidierung”, mit denen strenge Einsparungsvorgaben und Einschnitte gerade im öffentlichen Sektor einhergehen, schmälern die Aussicht auf eine schnelle Erholung insbesondere auf dem frauenspezifischen Arbeitsmarkt in den krisengeschüttelten EU-Mitgliedsstaaten.
Denn im öffentlichen Sektor arbeiten zu fast 70 Prozent Frauen. Zudem handelt es sich bei diesen Einsparungen häufig um Dienstleistungen, von denen vor allem Frauen profitieren – sei es im Bildungs- und Sozialwesen oder in der Gesundheitsversorgung. Wir haben es hier mit einer “stillen Krise” zu tun, denn leider tauchen diese negativen Auswirkungen, von denen überproportional Frauen betroffen sind, in den offiziellen Statistiken und Berichten der Sparkommissare nicht auf.
Mehr prekäre Beschäftigung
Die starken Einschnitte im öffentlichen Sektor verdrängen sozialversicherungspflichtige Arbeit und führen dazu, dass immer mehr Frauen unter prekären Bedingungen arbeiten müssen. Teilzeitarbeit, oft die einzige Alternative zur ansonsten drohenden Entlassung, ist eher weiblich und oft unfreiwillig. Seit Beginn der Krise sehen wir deutliche Zuwächse bei den Teilzeitbeschäftigungen in der EU mit einem Anteil von inzwischen 32,1 Prozent im Jahr 2012. Davon sind zunehmend auch Männer betroffen.
In Deutschland gibt es zudem das Phänomen der so genannten Minijobs, die sozial nicht abgesichert sind. Deren Zahl ist inzwischen auf mehr als sieben Millionen gestiegen, zwei Drittel der Minijobber sind Frauen, drei Viertel verdienen Löhne unterhalb der Niedriglohnschwelle.
Lohnlücke zwischen Frauen und Männern wächst
Im Kontext der konservativ geprägten Austeritätspolitik in Europa wurden nicht nur starke Einschnitte im öffentlichen Sektor durchgeführt, sondern wir beobachten auch eine gefährliche Abwärtsspirale beim Lohnniveau insgesamt. Die Europäische Kommission sieht mit Sorge, dass diese Entwicklung tendenziell auch zukünftig eine Ausweitung des so genannten “Gender-Pay-Gap”, der Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, nach sich ziehen könnte.
Derzeit verdienen Frauen EU-weit bereits rund 16 Prozent weniger als Männer, in Deutschland sind es sogar 22 Prozent. Obwohl Schätzungen davon ausgehen, dass sich der Lohnabstand durch die Krise weiter verschärfen wird, hat die deutsche Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel im Deutschen Bundestag die sozialdemokratische Initiative für ein Gesetz zur Schaffung von Entgeltgleichheit abgelehnt.
Altersarmut hat ein weibliches Gesicht
Auch auf EU-Ebene fordern die SPE-Frauen mit ihrer Kampagne “Equal Pay – It’s about Time” von der Europäischen Kommission, endlich für Lohngerechtigkeit zu sorgen. Zumal das Lohngefälle im Erwerbsleben zwischen Männern und Frauen im Alter zu einem deutlichen Gefälle der Rentenansprüche führt (“Pension Gap”). In Europa beträgt dieser “Pension Gap” heute schon durchschnittlich 39 Prozent und in Deutschland sogar über 50 Prozent – ist also rund doppelt so hoch wie der “Gender Pay Gap”. Altersarmut hat ein weibliches Gesicht: 2011 waren rund 63,8 Millionen Frauen in Europa von zukünftiger Altersarmut bedroht.
Der sozialdemokratische Kampf für mehr Lohngerechtigkeit und bessere soziale Absicherung geht Hand in Hand mit einer geschlechtergerechten Reform des Steuersystems. Hier hat Deutschland im EU-Vergleich besonders viel Nachholbedarf: Nirgendwo sonst in Europa gibt es das derart rückständige Ehegattensplitting. Hiervon profitieren in Deutschland nur gut verdienende Ein-Ernährer-Familien.
Geringverdiener, Alleinerziehende oder Paare mit partnerschaftlicher Aufteilung der Familien- und Erwerbsarbeit haben dagegen nichts davon. Das ist Gleichstellungspolitik von vorgestern.
Rückzug aus öffentlicher Daseinsvorsorge
Ein vierter und Dreh- und Angelpunkt, Chancengleichheit zugunsten von Frauen herzustellen ist dafür zu sorgen, dass Eltern auf eine qualitativ gute, bezahlbare bzw. unentgeltliche Betreuungsinfrastruktur zurückgreifen können. Aber auch hier hat das einseitig auf Sparen fokussierte EU-Krisenmanagement zu Lasten gerade der Frauen versagt.
Besonders hart treffen die Kürzungen die öffentliche Daseinsvorsorge: Kindergärten werden geschlossen, der notwendige weitere Ausbau der Betreuungsinfrastruktur muss in vielen Ländern auf Eis gelegt werden. Als Konsequenz dieses verordneten staatlichen Rückzugs erleben wir einen Rückfall in die traditionellen Rollenverteilung zwischen berufstätigem Mann und Hausfrau. Diese Entwicklung gefährdet die auch für Frauen wichtige ökonomische Eigenständigkeit.
Die EU hat sich zum Jahr 2020 zum Ziel gesetzt, 75 Prozent aller Frauen in das Erwerbsleben zu integrieren. Dieses Ziel wird durch den enormen Anstieg der Arbeitslosigkeit in vielen Teilen Europas gefährdet. Trotz guter Ausbildung und dem Wunsch zu arbeiten sind viele Frauen in Spanien oder Griechenland heute noch nicht einmal mehr “Reservepuffer” des Arbeitsmarktes, der inzwischen keine konjunkturellen Spitzen mehr kennt.
Kürzungen bei Gleichstellungsprogrammen
Die ausschließliche Austeritätspolitik der Konservativen in Europa hat auch zur Streichung von Mitteln für Gleichstellungsprogramme und Fraueneinrichtungen geführt. Hierdurch nimmt man Frauen ihre Lobby und ihre Stimme, während gleichzeitig die spezifische Genderperspektive in der Krisenbewältigung wichtiger denn je wird. In Spanien und Rumänien wurden bereits mehrere staatliche Gleichstellungsstellen komplett geschlossen.
In Dänemark, Irland und der Tschechischen Republik hat man Genderinstitute und Programme mit anderen zusammengelegt und dadurch geschwächt. In Großbritannien und Griechenland wurde der Etat für Frauenförderung und Gleichstellung drastisch gekürzt.
Ebenso verzeichnen wir in einigen Ländern deutliche Kürzungen bei der Mittelvergabe an Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich für Frauenrechte und Gleichstellung einsetzen.
Es geht also um viel für uns Frauen in diesem politischen Herbst. Wenn deutsche und europäische Frauen auf ökonomische Unabhängigkeit setzen, wenn die bestens ausgebildete Generation europäischer Frauen weiterhin am Arbeitsmarkt eine aktive Rolle spielen will, wenn wir sozialen und frauenpolitischen Fortschritt wollen, so müssen wir dafür sorgen, dass die Konservativen nicht länger über unsere Zukunft entscheiden.
Es ist an der Zeit, dass Frauen ihre Stimme erheben und die richtigen Weichen für ihre Zukunft stellen. Frauen waren seit jeher Motor für gesellschaftlichen Fortschritt. Wir sollten dafür sorgen, dass dies so bleibt.
Quelle: http://www.vorwaerts.de/109820/frauen_europa-gleichstellung-chancengleichheit_bundestagswahl.html.