Sonntag, 11. Juli 2010

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse



Deutsch-britisches Gewerkschaftsforum 8./9.7.2010 in Newcastle
Der Dienstleistungssektor in Deutschland, Großbritannien und Europa leidet seit den 80er Jahren unter der Privatisierung. Großbritanien und Deutschland hatten damals Regierungen, die uns Gewerkschaftern noch in schlechter Erinnerung sind: Bei uns war es Helmut Kohl und seine geistig-moralische Wende, hier war es Maggie Thatcher, die sich ihren Spitznamen Eiserne Lady auch redlich verdient hat. Dazu kam eine Europäische Union, die im Zeichen des freien Wettbewerbs alles, was nach geregeltem Wirtschaften roch, schnell den Gesetzen des freien Marktes überlassen wollte.
Viele Dienstleistungen, die bislang in öffentlicher Hand waren, wurden an private Anbieter weitergegeben oder es wurden besondere Gesellschaften gegründet. Verknüpft war damit auch die Hoffnung, öffentliche Kassen zu entlasten und durch den Wettbewerb bessere und günstigere Dienstleistungen zu bekommen. Privates Kapital sollte so für die Allgemeinheit genutzt werden. Seither haben wir auf Europäischer Ebene eine Entwicklung, die nahezu alle bisher klassisch staatlichen Aufgaben einer öffentlichen Ausschreibung zu unterziehen. Das führte zu einem Wettbewerb nach unten: Billige Anbieter beuten ihre Arbeitskräfte oft aus und sparen an der Qualität, um Aufträge zu bekommen. Die belgische Ratspräsidentschaft, seit zwei Wochen im Amt, wird das Thema Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im nächsten halben Jahr behandeln und Schlussfolgerungen dazu formulieren. Dazu wird es neben den laufenden Arbeiten des Ausschusses für Sozialschutz ein drittes Forum im Oktober geben. Unser Gewerkschaftsforum kann und wird dazu beitragen, dass wir die Diskussion und die daraus folgenden Ergebnisse auf europäischer Ebene kritisch begleiten und beeinflussen. Dazu habe ich drei Thesen:

Erstens:
Die Privatisierung und Reduzierung von Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge hat weder zu einer Verbesserung des Angebots noch zu einer Entlastung öffentlicher Haushalte geführt – das müssen wir bei der Weiterentwicklung der Daseinsvorsorge immer berücksichtigen. Man wäre als Gewerkschafterin fast versucht, hämisch auf die Diskussionen der 80er Jahre zu verweisen und zu sagen: Seht Ihr, wir haben es immer gesagt. Was ist passiert? Kommunen, Regionen und Staaten haben immer mehr Aufgaben an private Anbieter übertragen. Das sollte den Wettbewerb fördern. Oft gab es aber keine Anbieter für Dienstleistungen, so dass dies in sehr vielen Fällen über privatisierte Unternehmen der Gebietskörperschaften gemacht wurde. Das führte zu einer quasi-monopolistischen Struktur, die dann noch durch langfristige Vertragsbindungen gefestigt wurde. In deutschen Kommunen ist Beteiligungsmanagement im Bereich der Öffentlichen Dienstleistungen mittlerweile ein bedeutender Bereich politischer Entscheidungen geworden. Den direkten Einfluss haben die früher verantwortlichen dadurch aber verloren. Ich will es etwas provokant ausdrücken: Kommunen bieten heute über eng verknüpfte Unternehmen die Dienstleistungen an, die früher in öffentlicher Hand waren. Damit bleibt das Verlustrisiko ebenso wie die Notwendigkeit der politischen Steuerung bei der Kommune, der Einfluss und die Kontrollmöglichkeiten wurden aber in erheblichem Umfang reduziert. Ein echter Wettbewerb findet nur um einige wenige attraktive Teilbereiche statt. Auf den anderen Dienstleistungen bleibt die Kommune oder der Staat letztlich sitzen. Denn: Wer will schon als privater Anbieter dafür sorgen, dass auch abgelegene Dörfer noch abends eine Anbindung an den Personennahverkehr haben? Oder dafür sorgen, dass auch dort der Müll regelmäßig abgeholt wird? Das ginge nicht ohne erhebliche Kosten für die Bürger, die natürlich nicht umsetzbar sind. Hier muss politisch gegengesteuert werden. Alle Konzepte der Neustrukturierung der öffentlichen Dienstleistungen gerade nach der Krise müssen dies berücksichtigen.


Zweitens:
Zur Neustrukturierung und zum Erhalt einer flächendeckenden Versorgung müssen wir gegenüber der EU-Kommission eine abgestimmte Dienstleistungsstrategie entwickeln.
Im Kern müssen wir dabei die zentrale Bedeutung der öffentlichen Unternehmen wie Stadtwerke, Sparkassen, kommunale Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen für den Fortbestand einer funktionierenden Daseinsvorsorge herausarbeiten. Das kann jetzt besonders gut gelingen, denn durch die Krise wird sich, auch wenn sich dagegen immer wieder gewehrt wird, die EU-Wettbewerbspolitik neu justieren müssen. Außerdem müssen wir vor Ort für eine konsequente Modernisierung der Vergabeordnungen eintreten. Standards müssen vor Ort definiert werden können, Deutungshoheit muss bei den politischen Akteuren vor Ort verbleiben und nicht nach Brüssel auf eine abstrakte Ebene gehoben werden.

Drittens:
Auch die Gewerkschaften müssen die Modernisierung des Dienstleistungssektors aus Sicht und im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer begleiten. Durch die Privatisierung sind allein in Deutschland mehrere hunderttausende Arbeitsplätze verloren gegangen. Außerdem haben die Anbieter häufig den Tarifvertrag verlassen und bieten Dienstleistungen mit Arbeitnehmern an, die weit unter Tarif bezahlt werden. Diese Entwicklung gilt es schnell zu stoppen. Dazu sind neue und umfassendere Tarifstrukturen notwendig und es muss der Grundsatz der gleichen Entlohnung am gleichen Ort gelten. Das führt dann auch zu einer besseren Qualität der Dienstleistung, gerade im Bereich der Pflege zum Beispiel können nur zufriedene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch anständig mit den zu betreuenden Menschen umgehen. Es muss in Zukunft auch möglich sein, die Vergabe von Dienstleistungen auch an Bedingungen zu knüpfen, die die Anbieter verpflichten, Standards einzuhalten. Tariflöhne, Gesundheitsschutz oder unbefristete Arbeitsverträge könnten hier zum Beispiel Kriterien sein, die angewendet werden. Im Moment geht das nicht, das müssen wir dringend ändern.

Diese drei Thesen sollten nur ein erstes Schlaglicht darauf werfen, was wir in den kommenden Jahren gemeinsam im Bereich der Dienstleistungen im öffentlichen Sektor leisten sollten. Abschließend will ich noch einmal betonen, dass wir nicht zurück in die siebziger Jahre können, sondern dass wir an der Modernisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge aktiv arbeiten müssen. Dazu brauchen wir Politiker die Gewerkschaften, dazu brauchen wir Tagungen wie das deutsch-britische Gewerkschaftsforum. Dass auf europäischer Ebene nun auch das Parlament neue Rechte in der Gesetzgebung bekommen hat, wird uns helfen, den Druck auf die unverbesserlichen Liberalisierer zu erhöhen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen